Teil I/II: Das Geheimnis des Kinder- und Jugendmusicals in Rheinsberg.
Musiktheater mit Jugendlichen – Projektbeteiligte erinnern sich:
Das Gesamtkunstwerk Musiktheater gehört seit dem Barock zu Rheinsberg – und ist seit ihrer Gründung vor knapp 30 Jahren ein Schwerpunkt der musikalischen und musikpädagogischen Arbeit der Musikakademie Rheinsberg. Ob Kindermusical, Opernaufführungen mit Jugendlichen und jungen Kunstschaffenden oder »Neues Musik«-Theater – beteiligt waren stets sowohl professionelle Künstlerinnen und Künstler als auch engagierte Lehrkräfte und Pädagog*innen, welche die jungen Darsteller*innen durch das jeweilige Projekt begleiteten.
Seit November 2020 eröffnet die Bundesakademie für junges Musiktheater jungen Menschen zwischen 16 und 23 Jahren »Wege zur Bühne«: Sie können sich für die Mitwirkung auf oder hinter der Bühne bei einer Musiktheaterproduktion im Sommer 2021 in Rheinsberg bewerben.
Aus diesem Anlass sprach Jannika Olesch mit Beteiligten früherer Rheinsberger Musiktheaterprojekte über ihre Erfahrungen: Was bleibt in Erinnerung? Was bewirkt ein solches Projekt bei den Beteiligten? Wie motiviert man Kinder und Jugendliche zur Mitwirkung? Und was lässt sich aus diesen Erfahrungen für die zukünftige Musiktheater-Arbeit mitnehmen?
Ohne Corona wäre auch in diesem Winter wieder ein Kinder- und Jugendmusical über die Bühne des Rheinsberger Schlosstheaters gegangen, zum 19. Mal. So lange gibt es das Musicalprojekt, in dem Schüler*innen der Jahrgangsstufen 3 bis 12 miteinander auf der Bühne agieren. Gudrun Kurzke, Lehrerin am Bildungscampus Rheinsberg und eine der Projektleiterinnen, weiß noch gut, wie es begann – sie war dabei.
Die Anfänge: 2002 initiierten engagierte (Musik-)Lehrer*innen wie sie eine Kooperation von Schule und Musikschule – das Streichorchester, der Chor und die Theater-AG wurden einbezogen. So nahm das Musical seinen Anfang als »freiwillige Verpflichtung« der Schüler*innen aus den AGs, damals noch mit Stücken aus einem bereits vorhandenen »Schülermusical-Repertoire«.
Heute, 18 Jahre später, ist diese jährliche Musicalproduktion zu einer Art »Kultobjekt« geworden, daran mitgewirkt zu haben »gehört irgendwie dazu«. Ehemalige Schüler*innen, die bereits zur weiterführenden Schule gewechselt oder sogar schon in der Ausbildung sind, lassen sich freistellen, um noch ein letztes Mal beim Musical mitzumachen. Manch Teilnehmende*r war fünf oder mehr Jahre dabei, eine ehemalige Schülerin kann sogar auf ganze zehn Jahre Erfahrung zurückblicken.
Brigitte Kruse, ehemals wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der Musikakademie Rheinsberg, erinnert sich zurück: Bis das Kinder- und Jugendmusical seinen heutigen Stellenwert erreichte, brauchte es einen langen Atem und vor allem: ein gutes Team!
Sowohl Brigitte Kruse als auch Gudrun Kurzke schwärmen von drei damals Studierenden, die 2007 mit ins Boot kamen und dem Schifflein ordentlich Schwung gaben: Stefan Labenz, heute Musiklehrer an einem Berliner Gymnasium und ausgebildeter Opernsänger, Michael »Wudi« Wudick, Biologe und Hobby-Musiker, und Angelina Fiedler, Makroökonomin und leidenschaftliche Tänzerin. Diese drei bilden bis heute das künstlerische Team des Musical-Projekts. Sie begannen, die Musicals selbst zu schreiben, organisierten erstmals Castings für die Solo-Rollen, studierten Choreografien ein und besorgten unzählige Requisiten für die jeweilige Bühnenausstattung. Damals war das Team blutjung, heute junggeblieben. Gudrun Kurzke lacht beim Gedanken an die Momente, in denen die drei wie die Kinder mit und im Einkaufswagen durch Supermärkte düsten oder miteinander herumalberten.
Aber genau das sei wichtig, sagt »Wudi« auf die Frage, wie man pubertierende Jungs und Mädchen davon überzeugt, sich auf die Bühne zu trauen: die Schüler*innen dort abholen, wo sie stehen, Vertrauen aufbauen, selbst zu seinen Fehlern stehen und sich auch mal zum Deppen machen. So wie Stefan Labenz, Autor und Regisseur der Musicalproduktionen, wenn er selbst mal in Rollen und Kostüme erkrankter Darsteller schlüpft und damit für Lacher sorgt.
»Wudi« ist für die Musik der von ihm und Labenz geschriebenen Musicals verantwortlich; seine Lieder sind mittlerweile zu echten Ohrwürmern geworden. Dass er sich seine eigenen Songtexte selbst nicht merken kann, die Schüler*innen sie aber auswendig singen, dazu noch schauspielern und tanzen, findet er jedes Jahr aufs Neue faszinierend. Aber das sei wichtig: Dass man Kindern etwas zutraut, sie in ihren Fähigkeiten bestärkt und sie ernst nimmt.
Die Gesangsbegabung der meisten Schüler*innen kennt er mittlerweile so gut, dass er ihnen die Musicalpartien auf den Leib schreibt.
Die Bestärkung erfolgt beim Musical vor allem – und das ist etwas Besonderes – auch untereinander. Ältere oder ehemalige Darsteller*innen werden für die Jüngeren nicht nur zu Vorbildern, die immer wieder Nachwuchs ins Musicalprojekt spülen, sondern auch zu Mentor*innen: Das gemeinsame Arbeiten von Jung und Alt – immerhin liegt zwischen den Grundschülern und Oberstuflern ein Altersunterschied von sechs oder mehr Jahren – führt zu einer Art »Nachhaltigkeit«, so Gudrun Kurzke. Die jungen Darsteller*innen werden von den älteren wortwörtlich an die Hand genommen, mitgezogen, bestärkt. Daraus entsteht ein Teamgeist und eine Vertrauensbasis, welche die Beziehung zwischen Leitungsteam und Schüler*in aufs Beste ergänzt.
Aber auch die individuellen Gespräche sind wichtig, betonen die Gesprächspartner*innen: Künstler*innen und Lehrkräfte führten unzählige Zwiegespräche mit Schülerinnen und Schülern, fragten sie persönlich an, ob sie sich vorstellen könnten, eine Solo-Rolle zu singen, bestärkten sie in ihrem Können. Manch einer, der nie auf der Bühne stehen wollte, sang später eine der großen Solo-Partien und wuchs über sich hinaus. Brigitte Kruse nennt es »Arbeit am Individuum«, die hier geleistet wird.
In der Musicalarbeit erfahren die Mitwirkenden Wertschätzung für ihre Leistung, dass es auf sie persönlich ankommt. Sie lernen aber auch, wie wichtig es ist, Kritik auszuhalten: Kompetenzstärkung auf allen Ebenen. »Wudi« ist immer wieder erstaunt, welch positive Persönlichkeitsentwicklung an den Kindern und Jugendlichen nicht nur während der Projekt- und Probenzeit, sondern bei den Wiederholungstäter*innen auch über die Jahre hinweg sichtbar wird.
Text: Jannika Olesch