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Was für ein Theater! (Teil II/II)

Musiktheater »Narziss und Echo«

Teil II/II: Projekt »Grenzen aufheben« – Was Musiktheater leisten kann, wenn die Herangehensweise stimmt.

Musiktheater mit Jugendlichen – Projektbeteiligte erinnern sich:

»Talente entdecken und fördern, Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Teamgeist entwickeln und somit Bestätigung durch die eigene Leistungsfähigkeit finden« – dies waren Ziele auch des Musiktheaterprojekts »Grenzen aufheben«, das die Musikakademie von 2016 bis 2019 in Kooperation mit einem künstlerischen Team und dem Karl-Friedrich-Schinkel-Gymnasium Neuruppin durchführte.

Dieses Projekt ging noch einen Schritt weiter als das Rheinsberger Kinder- und Jugendmusical, denn die Jugendlichen der 10. und 11. Klasse waren an der gesamten Entstehung eines Musiktheaterwerks beteiligt: Sie schrieben über mehrere Monate gemeinsam mit einem künstlerischen Team am Libretto, entwickelten Motive, Ideen und musikalische Themen. Komposition und Choreografie waren am Ende ein Gemeinschafts(kunst)werk des künstlerischen Teams und der Schüler*innen.

Was soll das eigentlich: Musiktheater mit Heranwachsenden?

Letztlich geht es in beiden Projekten primär um Entwicklungschancen und neue Erfahrungen für die beteiligten Schüler*innen: Persönlichkeitsentwicklung, Sozialkompetenz, Eröffnung bzw. Erweiterung des künstlerischen Horizonts verbunden mit dem Ehrgeiz, höchstmögliche künstlerische Qualität auf der Bühne zu erreichen. Die Schwerpunkte und auch die Musiktheatergattung beider Projekte sind hingegen verschieden.
Während das Rheinsberger Musical vor allem ein pädagogisches Ziel verfolgt – Brigitte Kruse und Gudrun Kurzke bezeichnen es beide als »Sozial-Projekt« – hatte das Musiktheaterprojekt »Grenzen aufheben« eher einen künstlerischen Schwerpunkt. Während das Musical in Rheinsberg Kinder und Jugendliche aus sozial und kulturell benachteiligten Familien bewusst mit einbindet, u.a. durch eine Kooperation mit der DGB-Jugendbildungsstätte, startete das Musiktheaterprojekt mit dem Neuruppiner Gymnasium primär mit dem Ziel, den Schülerinnen und Schülern ein unbekanntes Terrain auf dem Gebiet des zeitgenössischen Musiktheaters und der Neuen Musik nahe zu bringen.

Obwohl Gudrun Kurzke bestätigt, dass auch viele Darsteller*innen bereits Erfahrungen aus Theater-AGs, im Chorsingen oder im Instrumentalspiel haben, so setzt das Kindermusical im Lebenslauf zeitlich viel früher an. Hier werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich Kinder und Jugendliche auch über das Projekt hinaus später noch für Musik und Theater interessieren. Und spannenderweise sind viele der ehemaligen Musical-Mitwirkenden mittlerweile in sozialen Berufen gelandet– so wie die Schülerin mit den zehn Jahren Musical-Erfahrung, die Sonderpädagogik studierte und Lehrerin wurde.

Dahingegen steckten die Mitwirkenden von »Grenzen aufheben« – Mittelstufen-Schüler*innen eines städtischen Gymnasiums – bereits mitten in der Pubertät und verfügten über weitaus mehr Erfahrungen im Musikschaffen und -erleben als der Großteil der Kindermusical-Teilnehmer*innen. Viele von ihnen sangen zudem im Schulchor, den die Musiklehrerin Ulrike Schubach leitet; als Projektverantwortliche auf Seiten des Gymnasiums ermöglicht sie die Kooperation und betreut das Projekt pädagogisch. Die weiteren Akteure im Leitungsteam des Musiktheaterprojekts sind Künstler*innen, die sich auch als solche verstehen: Arturo Gama arbeitet hauptberuflich als freier Opernregisseur, Aurélien Bello ist Musikalischer Leiter der Jungen Kammerphilharmonie Berlin, Robert Pflanz ist Videokünstler und Bühnenbildner. Erika Otto ist neben ihrer Lehrtätigkeit an der Schule auch als freie Autorin und im Projekt als Librettistin tätig. Auch Ulrike Schladebach, professionelle Tangotänzerin, Theater-Regisseurin und bei diesem Projekt als Regieassistenz von Arturo Gama tätig, fiel auf, dass viele der Beteiligten bereits musische Vorbildung mitbrachten. Die konkrete Musiktheaterarbeit in dieser Form war jedoch für alle neu . Die Gesangsparts, komponiert als Neue Musik, waren für die Jugendlichen eine Herausforderung, obwohl sie von Aurélien Bello auf ihre Fähigkeiten zugeschnitten waren.

Reflexion ist ein Muss: Was will ich? Was brauche ich? Wer macht mit?

Man könne als erwachsener, kulturell gebildeter Mensch nicht davon ausgehen, dass allen Kindern die Welt des Theaters, und speziell des Musiktheaters, gleichermaßen vertraut ist, sagt Ulrike Schladebach. Es sei wichtig, dass sich das Team dahingehend reflektiert und seine Arbeitsweise den Gegebenheiten anpasst.

Sowohl Brigitte Kruse als auch Ulrike Schubach kommen zu der Schlussfolgerung: Während man Musikstudierenden nur den kleinen Finger reichen muss, um sie zum Mitwirken an einer Musiktheaterproduktion zu motivieren, muss man Gymnasialschüler*innen (auch denen mit künstlerischer Vorerfahrung) zumeist bereits den ganzen Arm hinhalten. Und um Schüler*innen ohne spezifischen künstlerischen Hintergrund zu motivieren, sind – im übertragenen Sinne – oft noch Umarmungen und gutes Zureden nötig, um das nötige Vertrauen zu wecken. Gerade in diesen Fällen kommt es darauf an, ihnen zu vermitteln, dass die nötigen Skills während des Projekts erworben werden und dass alle in ihrer Unvollkommenheit willkommen sind.

Vor jedem Projektbeginn sollten somit drei Fragen stehen, über deren Antworten sich die Projektleitung im Klaren sein sollte, bevor sie Team und Schüler*innen akquiriert:

  1. Welche pädagogischen und künstlerischen Projektziele haben wir? Mit welcher Klientel wollen wir arbeiten?
  2. Welchen Schultyp wählen wir, welche Voraussetzungen sind in der Schule gegeben? (Musiklehrer*innen, AGs, Logistik, Schulklima für Akzeptanz eines solchen Projektes)
  3. Wo können wir die die Schüler*innen „abholen“? Welche Konsequenzen hat das für das Verhältnis von pädagogischen und künstlerischen Vorgehensweisen?

Autorin: Jannika Olesch


Bild: Szene aus dem Musiktheaterstück »Narziss und Echo«, 2017 (c) Uwe Hauth
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