»Jugendliche Lebenswelten« – so lautete der Titel der Tagung der Bundesakademie für junges Musiktheater #BAJMT, die vom 28. bis zum 30. August 2022 in Schloss Rheinsberg stattfand. In drei Themenblöcken ging es um Fragen nach den Lebenswelten von Jugendlichen, nach der Integration und Inklusion von Jugendlichen sowie nach den Bedingungen, unter denen sich Jugendliche engagieren. Neben Vorträgen zu den Ergebnissen der Sinus-Jugendstudie (Ilka Kass) sowie zu den bildungswissenschaftlichen und didaktischen Impulsen für eine gelebte Inklusion und Partizipation von Jugendlichen aus unterschiedlichen Kontexten (Prof. Dirk Zaiser, HfMuTh Trossingen), wurden die einzelnen Themen in kleinen Gesprächsrunden von Expert*innen, Theaterschaffenden aus verschiedenen Arbeitsfeldern und Kontexten des Musiktheaters zusammen mit einer Gruppe Jugendlicher diskutiert und vertieft.
In den Gesprächen wurde immer deutlich, wo die Schwierigkeiten in der Beschäftigung mit dem Musiktheater liegen. Grundsätzlich signalisierten die Jugendlichen ein großes Interesse am Musiktheater aufgrund seiner überzeitlichen Themen und dem musikalischen Potenzial. Und dennoch fehlt es v.a. im ländlichen Raum an Möglichkeiten, eigene Erfahrungen mit dieser Kunstform zu sammeln, insbesondere dann, wenn sich auch das Umfeld der Jugendlichen (Elternhaus, Schule, Freundeskreis) nicht für Musiktheater interessiert.
Zum einen ist das Musiktheater nach wie vor mit dem Vorurteil behaftet, altmodisch zu sein und mit dem Alltag junger Menschen nichts gemeinsam zu haben. Zum anderen bieten sehr oft die Struktur der Schule und des Lehrplans keinen Raum für eine praktische Beschäftigung mit dem Musiktheater: Da fehlt es u.a. an Kontinuität beim Besuch von Vorstellungen, an Wissen um theaterpädagogische Angebote (Workshops, Nachgespräche etc.), an von der Schulleitung benannten Kontaktlehrkräften (um beispielsweise langfristige Allianzen zwischen Theater und Schule zu schmieden) oder auch an Räumen innerhalb des Schulgebäudes, die die Jugendlichen zum Musizieren oder Theaterspielen nutzen können. Sofern Jugendliche nicht im Umkreis größerer Städte wohnen, haben sie oftmals während ihrer Schulzeit keine Gelegenheit, eine Vorstellung in einem Opernhaus oder einen Workshop zu besuchen (unzureichend ausgebauter öffentlicher Nahverkehr, Fehlen von Begleitpersonen, Stundenplan lassen es nicht zu).
Im Austausch zwischen Vermittler*innen, Theaterschaffenden und den Jugendlichen zeigte sich, dass das Wissen um schulische Bedingungen und Strukturen, aber auch um (bereits bestehende) Angebote der Theater vergrößert werden muss. Die Beschäftigung mit dem Musiktheater, sei es im Rahmen eines Vorstellungsbesuches, eines Workshops oder auch im Rahmen einer Theater-AG besitzt ein großes Bildungspotenzial: Sie eröffnet die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen, unterschiedlichen Musiktraditionen und mit verschiedenen Formen künstlerischer Wahrnehmung und des künstlerischen (Selbst-) ausdrucks.
Letztlich geht es jedoch nicht nur um den Erhalt des Musiktheaters als Gattung und/oder Institution. Vielmehr bietet die Beschäftigung mit dem Musiktheater die Möglichkeit zum intergenerationalen Diskurs, zum Austausch von unterschiedlichen Perspektiven und Haltungen, aber auch zum gemeinsamen künstlerischen Arbeiten und gegenseitigen Lernen. Hier formulierten die Jugendlichen in den Diskussionen durchaus kritisch, dass ihre Stimmen in den derzeitigen Diskursen um ein ‚Junges Musiktheater‘ nicht gehört werden. Wer aber könnte besser zu den Möglichkeiten von Digitalität oder auch den Schwierigkeiten von Geschlechterkrisen Stellung beziehen als jungen Menschen selber?
Viele Themen, Fragen und Probleme wurden auf dieser Fachtagung angesprochen und aus unterschiedlichsten Perspektiven diskutiert. Die Beteiligten – Erwachsene wie Jugendliche, professionelle Theatermacher*innen wie Laien – kamen in den offenen und unhierarchischen Begegnungsformaten zu dem Schluss, dass ein Transformationsprozess des Musiktheaters nur erfolgreich sein kann, wenn der große Erfahrungsschatz auf Seiten der Schulen und der Opernhäuser, aber auch der Jugendlichen geteilt wird. Gegenseitiges Wissen um die jeweiligen Strukturen und Arbeitsprozesse macht es erfolgversprechend, gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie die Sichtbarkeit einer jungen Generation in den Kulturbetrieben künftig erhöht bzw. das Musiktheater-Angebot für Jugendliche v.a. auch in ländlichen Räumen ausgebaut werden kann: Es geht um gegenseitige Wertschätzung und den Abbau von Vorurteilen und Fremderfahrungen, also letztlich um einen Prozess, der seinen Teil zu einem respektvollen und inklusiven gesellschaftlichen Zusammenleben beitragen kann und von kultur- und bildungspolitischer Relevanz ist.
Autorin: Christiane Plank-Baldauf
Bild: 2022 (c) Uwe Hauth